Welttag des Flüchtlings
Keine Zeit für Zweifel
Von Dorothée Schenk [20.06.2016, 09.03 Uhr]
Nicht die Bomben machten LZ Angst - die Willkür des Assad-Regimes trieb sie zur Flucht. |
„Ich habe viele Engel getroffen“, sagt LZ und strahlt. Die junge Frau möchte ihren Namen aus Sorge um die in Syrien zurückgebliebenen Familienmitglieder nicht vollständig preisgeben. Aber die Geschichte ihrer Flucht erzählt sie gerne – mit großer Lebendigkeit, Hoffnung und einigen Wünschen für die Zukunft.
Es klingt wie ein großes Abenteuer. Kopfkino mit Bildern von Karl May Figuren und seinem Klassiker „Durchs wilde Kurdistan“ untermalen unweigerlich die Worte von LZ. Rund 4000 Kilometer haben sie und ihr Ehemann mit den drei Kindern zurückgelegt. Weite Strecken davon zu Fuß. Immer waren sie in Eile, immer in der Gefahr, entdeckt zu werden. „Angst hatte ich keine“, sagt die 32-Jährige und strahlt dabei überzeugend so viel Selbstverständnis aus, dass kein Zweifel bleibt. Hier ist eine Frau mit viel Energie und dem Willen, das Leben mit beiden Händen anzupacken.
Geflohen ist sie nicht vor dem Krieg. „Die Bomben waren nicht so schlimm“, sagt sie. Die Familie bewohnte ein eigenes Haus in einer Stadt nahe Damaskus, sie selbst war Lehrerin für Englisch und Rektorin einer Vorschule. Eine gut situierte Familie also mit Ansehen und einem guten Netzwerk an Freunden und Familie. Zur Flucht entschlossen sie sich aus Furcht vor der Willkür des Assad-Regimes. Regierungstreu bis zur Selbstaufgabe, so beschreibt LZ ihren Vater. Dennoch haben die Schergen ihn inhaftiert und gefoltert. Ebenso erging es dem Bruder ihres Mannes. Zeit, das Land zu verlassen.
Per Flugzeug setzte sich als erstes der Ehemann in die Türkei ab. Frau, Kinder und vier Katzen folgten per Bahn. Geplant war, sich in der Türkei eine neue Existenz aufzubauen. Dazu hatte das Paar seine Konten in der Heimat aufgelöst und so reichlich Geld in der Tasche. Ein Glücksfall. Als es mit der Existenzgründung nicht klappte, packten sie nur das Nötigste zusammen und machten sich wieder auf den Weg. Das vage Ziel: Europa. „Mein Mann wollte gerne nach Schweden“, erzählt LZ.
Die Tochter hat die Bombenangriffe auf eine Moschee bildlich erzählt. |
Ohne Bestechungsgelder geht es natürlich nicht: Aber LZ hatte sich gut informiert. „Es gibt sehr viele Foren auf Facebook, die speziell für Flüchtlinge sind“, erklärt sie:?Wo es Unterstützung gibt, dass SIM-Karten für Handys in Durchreiseländern Geld sparen, um mit der Familie Kontakt zu halten, über den Tipp, Bargeld und Telefone während der Überfahrt in dem völlig überfüllten Boot zum Schutz vor Wasser in Luftballons zu verstauen.
Die Überfahrt war das furchtbarste Erlebnis für LZ, schlimmer, als vier Stunden eingepfercht mit 75 Männern, Frauen und Kindern in einem dunklen Lastwagen transportiert zu werden, schweigend, falls Polizeiposten sie anhalten, schlimmer auch als der Sprung in den anfahrenden Zug in der Sorge, die Kinder dabei zu verlieren, schlimmer als die abstoßenden hygienischen Bedingungen und Angst vor Flüchtlingscamps, die mehr Gefängnissen glichen. Zeit für Zweifel blieb LZ nicht. Tränen flossen erst, als sie in München angekommen waren. „Ich musste stark sein“, sagt sie lächelnd.
Jetzt nimmt sie Deutschunterricht, die Kinder gehen zur Schule, und ihr Mann hilft bei einem Schreiner. Der Herzenswunsch und Hoffnung aber bleibt: Zurück in die Heimat, zurück ins eigene Haus. Das steht nämlich noch, wie sie von ihrem Vater weiß – per Whattsapp.
Zur Ausstellung "Verletzte Seelen", in der 27 Flüchtlinge ihre Erlebnisse in Bilder umgesetzt haben, hat sie ein Werk beigesteuert. Sie ist noch bis morgen im Gemeindezentrum auf dem Driesch 1-3 in Inden-Altdorf zu sehen.
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